Die Sloane Avenue Nummer 60 ist eine der teuersten Adressen in London. Ein Luxustempel aus Büros und Läden, mit einer prächtigen Terrakottafassade.
Auf diesen 11.411 Quadratmetern sollte vor hundert Jahren ein Autosalon entstehen. Heute ist das Gebäude ein Tummelplatz für Spekulanten aus aller Welt im teuren Londoner Südwesten.
Wer sich als Investor hier hineinwagt, braucht Mut, er muss es sich leisten können zu verlieren. Trotzdem hat der Vatikan versucht mitzubieten.
Von 2014 bis 2018 investierte das Staatssekretariat des Heiligen Stuhls 350 Millionen Euro in die Sloane Avenue. Verantwortlich für die Anbahnung des Deals war der italienische Kardinal Angelo Becciu, der sich eine gute Geldanlage erhoffte.
Doch der Kauf wurde ein Fehlschlag, vergeblich versuchte die Finanzaufsichtsbehörde des Vatikans, AIF, das Geld zu retten. Als Becciu Ende September zum Papst zitiert wurde, der ihm sein Misstrauen aussprach, waren alle internen Rettungsversuche für den Deal längst gescheitert.
Das Ergebnis ist mehr als kostspielig: Becciu hat seinen Posten als Chef der Heiligsprechungs-Kongregation verloren, jetzt droht er, wegen übler Nachrede gegen die Medien vor Gericht zu ziehen.
Papst Franziskus, der »eine arme Kirche für die Armen« will, muss eine neuerliche Glaubwürdigkeitskrise managen und verliert einen Getreuen.
Becciu war ja der Mächtigste aus der Riege jener Kleriker, die Bergoglio nach dem Rücktritt des deutschen Papstes übernahm. Der Italiener half dem argentinischen Außenseiter, die Kurie zu verstehen.
Während Franziskus nach seiner Wahl zum Papst den zweiten Mann im Vatikan, den Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, zügig entmachtete, blieb der dritte Mann, der Substitut Becciu, im Amt.
Fünf Jahre lang, von 2013 bis 2018, war Becciu eine Art zweiter Regierungschef, gleich nach dem neuen Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin.
Als italienischer Kurienkardinal alter Schule diente Becciu Franziskus so loyal wie dem Vorgänger. Doch zum altmodischen Machtgebaren gehörte offenbar auch, bei Finanzen selbstherrlich zu agieren, wie es üblich gewesen war, bis Ratzinger versuchte, die Vatikan-Finanzen aufzuräumen – und scheiterte.
Man erinnere sich: Nur wenige Wochen vor dem Rücktritt des deutschen Papstes im Februar 2013 flog der von ihm neu eingesetzte Vatikan-Bankdirektor raus. Was während der Affäre VatiLeaks genau geschah, ist noch immer unklar.
Doch einer der wichtigsten internen Ermittler, vielleicht der wichtigste, war kein Geringerer als Angelo Becciu.
Das muss man wissen, um Beccius Reaktion auf seinen Rauswurf zu verstehen. Nach der Vorladung bei Franziskus erklärte er dramatisch, er sei »bereit, sein Leben für den Papst zu geben«.
Am vergangenen Wochenende ging sein Anwalt Fabio Viglione dann zum Gegenangriff über: Becciu habe weder Geld verschwendet, noch sei er korrupt. Vor allem der Vorwurf, Becciu habe Belastungszeugen gegen seinen Kardinalskollegen Georges Pell bestochen, der in Australien des Missbrauchs angeklagt worden war, sei erlogen.
Becciu werde sich »umgehend an die Gerichte wenden, um seine Ehre zu verteidigen«.
Wie konnte es zu dieser Kollision zweier Kardinäle kommen? Tatsächlich war Pell kürzlich nach Rom zurückgekehrt – als später Sieger in einem mehr als drei Jahre währenden Missbrauchsprozess.
Man hatte ihn angeklagt, inhaftiert, verurteilt und schließlich doch freigesprochen. Doch im Vatikan, wo der Papst ihn überaus freundlich empfing, sah man seine Rückkehr mit Sorge.
Kaum war Pell in Rom gelandet, wurde denn auch der Verdacht öffentlich, sein alter Antipode Becciu habe ihn durch gekaufte Falschaussagen beschädigen wollen.
Der Grund: Pell sollte ursprünglich die Vatikan-Finanzen aufräumen, womöglich sei er dabei schon auf Beccius unorthodoxen Umgang mit Kirchengeldern gestoßen.
Ob das stimmt, wissen nur Becciu und Pell. Fakt ist: Pell gehörte ab 2013 zu dem neuen Kardinalsrat, der den Papst bei der Kurienreform beriet. Außerdem war er ab 2014 Präfekt des Wirtschaftssekretariats der Kurie.
Dieses Amtes wurde er während des Prozesses in Australien nicht enthoben. Das war fair, zumal Pell sich, anders als Becciu, nicht durch übermäßige Loyalität gegenüber Franziskus hervorgetan hatte.
Jeder wusste, dass der Australier die Liberalisierung der Glaubenslehre für unnötig hielt. Einig war man über die Reformbedürftigkeit des Apparates. Doch Pell wollte, grob gesagt, die Kirche wie ein Wirtschaftsunternehmen führen.
Dies wiederum musste einem Papst missfallen, der massiv gegen die westliche Ökonomie wetterte (»Diese Wirtschaft tötet!«) und sich so Gegner schuf: unter Geschäftspartnern des Vatikans, die den Ausverkauf kirchlicher Besitztümer fürchteten, und unter Kardinälen, die Bergoglio gewählt hatten, weil sie Reformen wollten, aber gewiss keinen radikalen Anwalt der Armen.
Das ist der Machtkampf, der jetzt aufflammt: Wohin soll die Kirche sich bewegen? Die Antwort hängt, wie schon während VatiLeaks, als stapelweise Geheimdokumente des Vatikans an die Presse lanciert wurden, vom Geld ab.
So erklärte Nicole Rose, Chefin der staatlichen Finanzaufsicht in Australien, ihre Behörde habe die australische Polizei über die Anschuldigung informiert, dass Geld aus dem Vatikan nach Australien geflossen sei.
Derweil ermittelt die Gendarmerie auch im Fall London. Intern rechnet man bereits mit einem Prozess im Gerichtssaal der Vatikanstadt, womöglich sogar mit Verhaftungen.
Der Heilige Stuhl hat zwar kein eigenes Gefängnis, nutzt aber die Arrestzellen im Hauptquartier der Vatikan-Gendarmerie, die nur wenige Hundert Meter hinter dem Petersdom liegen.
Eine peinliche Verhaftung gab es bereits: Cecilia Marogna, eine »politische Beraterin« des Staatssekretariates, wurde vergangene Woche in Mailand von Interpol verhaftet, auf Initiative des Heiligen Stuhls. Die 39-Jährige gehörte zu Beccius engstem Kreis.
Sie soll 500.000 Euro veruntreut haben, etwa für Luxusartikel von Prada, Chanel und Gucci. Das Mailänder Gericht behauptet nun, es bestehe Fluchtgefahr. Wirklich? Ein italienischer Schriftsteller, Gioele Magaldi, der von sich sagt, er sei Freimaurer, kündigte an, die Gefangene unbedingt besuchen zu wollen.
Er sorge sich um sie, weil sie zu viele Insiderinformationen habe. Das klingt abenteuerlich, aber es wäre nicht das erste Mal, dass in einer Vatikan-Finanzaffäre eine attraktive junge Frau zum Sündenbock gemacht wird. So erging es schon der Finanzberaterin Francesca Chauqui, der man ein Verhältnis mit einem Priester der Finanzaufsicht unterstellte.
Doch nicht der Finanzskandal ist es, wovor die Unterstützer von Franziskus sich jetzt fürchten, sondern ein neues VatiLeaks. Die Geschichte erinnert auch an den Zusammenbruch der Banco Ambrosiano, deren Präsident, Roberto Calvi, 1982 an einem Strick hängend unter der Londoner Blackfriars Bridge gefunden wurde.
Als sich herausstellte, dass Erzbischof Paul Marcinkus, Direktor der Vatikanbank, in den Fall verwickelt war, erhielt er als Angestellter des Vatikans Immunität vor polizeilicher Verfolgung.
Kardinal Becciu hingegen genießt nicht mehr automatisch Immunität. Zwar wohnt er weiter im Vatikan, doch es heißt, er habe seinen Kardinalsrang verloren.
Offiziell wurde sein Name noch nicht aus der Liste des Kardinalskollegiums gestrichen. Als sicher gilt, dass Ermittlungen zur Sloane Avenue durch das vatikaninterne Kontrollsystem ausgelöst wurden: Es waren Staatsanwälte des Vatikans, die im Oktober 2018 Durchsuchungen in den Büros der Finanzaufsicht des Vatikans durchführten.
Nein, Papst Franziskus war in den letzten siebeneinhalb Jahren nicht untätig bei der Finanzreform. Er verglich seinen Kampf gegen die römische Bürokratie auch schon mit dem Versuch, die ägyptische Sphinx mit einer Zahnbürste zu reinigen.
Und er kennt das Problem noch aus Argentinien: Als Erzbischof von Buenos Aires musste er feststellen, dass die Erzdiözese in den Zusammenbruch der argentinischen Banco de Crédito Provincial verwickelt war.
Bergoglios Vorgänger stand den Eigentümern der Bank nahe, die sich ein Darlehen von zehn Millionen Dollar erschlichen hatten. Bergoglio räumte auf.
In der Sloane-Avenue-Affäre nun hat er den vatikanischen Ermittlern freie Hand gegeben. Sie sollen herausfinden, warum so viel Geld investiert wurde und warum externe Berater Millionen abzweigen konnten.
Bereits 2018 nannte Franziskus die Investition Journalisten gegenüber einen »Skandal«. Der Nachrichtendienst des Heiligen Stuhls habe ein »enormes Missverhältnis zwischen dem Wert der Immobilie und dem gezahlten Preis« festgestellt.
Dass der Heilige Stuhl in Immobilien investiert, ist üblich. Seit den Lateranverträgen von 1929 verfügt er über Liegenschaften in London, der Schweiz und Paris. In London hat er heute Immobilien in Toplagen an der New Bond Street und der Kensington High Street, die Rendite erwirtschaften.
Doch das Staatssekretariat handelte auf eigene Faust, als es für 180 Millionen Euro einen 45-Prozent-Anteil an dem Objekt in der Sloane Avenue erwarb.
Finanziert wurde der Kauf mithilfe von Darlehen, die durch einen Fonds von Kirchenspenden aus aller Welt in Höhe von 454 Millionen Euro besichert wurden. Das ursprüngliche Geschäft lief über Raffaele Mincione, einem in London ansässigen italienischen Finanzier mit einer Vorliebe für riskante Deals.
Die Sloane Avenue war mit einer Hypothek von 125 Millionen Pfund belastet, und Mincione hatte bereits bei anderen Investitionen Geld für den Vatikan verloren.
Ende 2018 beschloss das Staatssekretariat, den Rest des Gebäudes in einer komplizierten Transaktion aufzukaufen, die Mincione Millionen einbrachte. Weitere Probleme traten auf, als ein anderer Finanzier, Gianluigi Torzi, der bei der Vermittlung des neuen Geschäfts half, Unsummen verlangte.
Der Vatikan wirft ihm heute »Erpressung, Veruntreuung, schweren Betrug und Geldwäsche« vor. Sechs Vatikan-Beamte stehen unter Verdacht. Für Torzis Anwälte aber ist alles nur ein »Missverständnis«.
Offenbar hat sich Kardinal Becciu auf die falschen Partner verlassen. Verdient wurde im Vatikan an dem Investment, das über Off-Shore-Strukturen abgewickelt wurde, bislang nichts.
Auch den Kauf von weiteren Londoner Immobilien im eleganten Stadtteil Knightsbridge im Wert von fast 100 Millionen Pfund wickelte Becciu über Off-Shore-Gesellschaften ab. An den Folgen laboriert der Vatikan nun. Vor zehn Tagen kündigte man an, einen Kredit in Höhe von 242 Millionen Euro an die Schweizer Großbank Credit Suisse zurückzuzahlen. Das Geld aus dem Kredit floss wohl in die Londoner Immobilien-Deals.
Und nun? Versucht der Papst einen Befreiungsschlag, indem er Verantwortung für die Finanzen aus dem Staatssekretariat abzieht. Dessen Büros in der prächtigen dritten Etage des Apostolischen Palasts stehen für die alte Macht der Kirche.
Sieben Jahre lang hatte Angelo Becciu hier als Substitut residiert. Er war bekannt für die »Becciu-Methode«: Wenn er Besuch empfing, trat er selbst gern überraschend durch eine Tapetentür ein. Umso überraschter war er von seiner Entlassung durch den Papst.
Noch brisanter ist aber eine andere Personalie: Der Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, der zweite Mann nach dem Papst, gehört nicht länger zu dem Kardinalsrat, der die Vatikanbank IOR mit beaufsichtigt.
Stattdessen wurden drei neue Kardinäle berufen, darunter der Jesuit Luis Antonio Tagle von den Philippinen, der als der aussichtsreichste Anwärter auf die Nachfolge von Papst Franziskus gilt.
Wie geht es weiter? Ein Kollateralschaden der Vorgänge rund um den Londoner Immobiliendeal, so viel steht fest, ist die Finanzaufsicht des Vatikans.
Als das Staatssekretariat 2019 den Deal in London retten wollte, bat es die Vatikanbank IOR, diese möge einen Kredit über 150 Millionen Euro bereitstellen. Im IOR – wo in den vergangenen Jahren kräftig aufgeräumt wurde – erkannte man das Risiko, verweigerte den Kredit und schlug Alarm bei der Finanzaufsicht des Heiligen Stuhls.
Doch die Warnung wurde ignoriert, und zwar von dem damaligen Direktor der Finanzaufsicht, Tommaso Di Ruzza.
Was dann geschieht, bleibt dubios. Die Bedenken des IOR dringen zum Papst. Doch am 1. Oktober 2019 werden die Gendarmen des Vatikans losgeschickt zu einer Razzia bei der Finanzaufsicht.
Was genau fanden, weiß man nicht, doch sie betraten die Büros der Finanzaufsicht im Palazzo San Carlo, der direkt gegenüber dem Gästehaus Santa Marta liegt, wo der Papst wohnt. Sie beschlagnahmten Unterlagen. Der Direktor, Tommaso Di Ruzza, wurde suspendiert.
Die Folge: Am 13. November 2019 setzt die Egmont Group, ein Verbund von Anti-Geldwäsche-Behörden, die Mitgliedschaft der Finanzaufsicht aus. Diese Behörden sind darauf angewiesen, dass ihre Arbeit vertraulich bleibt – und die Razzia hatte die Finanzaufsicht des Vatikans kompromittiert.
Wenige Tage später wird bekannt, dass René Brülhart, der Präsident der Finanzaufsicht – der Jahre zuvor hart für die Aufnahme des Heiligen Stuhls in die Egmont Group gekämpft hatte – geht.
Ob er hinwirft oder ob der Heilige Stuhl das Vertrauen verloren hatte, darüber gibt es widersprüchliche Schilderungen. Auf jeden Fall quittieren auch zwei andere Mitglieder der Finanzaufsicht ihren Dienst. Einer zeigt offen seine Wut über die Razzia.
Ist der Fall damit geklärt? Mittlerweile holte Carmelo Barbagallo, neuer Chef der Finanzaufsicht, die Egmont Group zurück ins Boot. Doch eine unabhängige Bestandsaufnahme steht noch aus: Moneyval, ein Gremium des Europarats, das gegen Geldwäsche operiert, wird im April 2021 einen neuen Bericht über den Vatikan vorlegen.
Zwei Wochen lang besuchten Experten im Oktober den Vatikan. In der Vergangenheit haben sie die Entwicklung des Heiligen Stuhls durchaus wohlwollend kommentiert, seine neuen Institutionen, Prozesse, Kontrollen. Immer wieder übten sie aber Kritik, dass etwa die zahlreichen Meldungen verdächtiger Finanztransaktionen nur selten in Ermittlungen, Anklagen, gar Prozesse münden.
Vielleicht ändert sich das. Anfang Oktober, nur wenige Tage nach dem Aufruhr um Kardinal Becciu, empfing Franziskus die Delegation von Moneyval persönlich.
Ihre Arbeit »liegt mir besonders am Herzen«, sagte der Papst und erinnerte an Jesu Vertreibung der Händler aus dem Tempel. Zum Schluss zitierte er die Worte des Heilands: »Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Geld.«
(ottobre 2020)